Grenzen.Los.Werden

 

Grenzen begegnen uns in allen Bereichen.

Ob als Ländergrenzen, Sprachgrenzen, Grenzen unseres Selbst, Begrenzungen von Gegenständen. Oft verbinden wir Grenzen mit Einschränkungen. Dieser als negativ empfundene Aspekt reizt dazu, Grenzen nicht zu akzeptieren, sie einzureißen und zu überwinden. Allerdings können Grenzen auch Schutzfunktion haben, z.B.unsere persönlichen Räume betreffend. Sie bieten Struktur und Orientierung per Erziehung oder Gesetz. Sie helfen, Eigentum zu schützen oder sicher miteinander umzugehen. Sie spielen bei globalen Themen wie der gegenwärtigen Pandemie oder der Migration eine Rolle, aber auch im individuellen Umfeld des Einzelnen,der sich in Hinsicht auf Leistungssteigerung und Selbstoptimierung möglichst über seine gefühlten Grenzen hinaus entwickeln soll.

Die Gruppe HIRASCHNEI betrachtet das Thema „Grenzen und Grenzenlosigkeit“ aus verschiedenen Blickwinkeln.

Die drei Künstler*innen interessiert dabei weniger, offensichtliche Grenzen aufzuzeigen, sondern sie untersuchen unterschiedliche Formen subtiler Grenzziehungen, die häufig nicht bewusst wahrgenommen werden, aber dennoch Einfluss auf unser Leben nehmen. Es geht nicht um statische Grenzen, die einfach da sind, sondern um solche, die im alltäglichen sozialen Handeln plötzlich auftauchen und eine enorme Wirkung entfalten können. Alle drei Künstler von HIRASCHNEI übertragen Grenzziehungen in einem installativen Charakter in den geschützten Kunstraum, der als Versuchsraum zur Schärfung der Grenzwahrnehmung angeboten wird.

 

 

Paul Hirsch interessieren die unvermeidlichen Grenzen, die bei sozialen Interaktionen entstehen. Die Freiheit des einen schränkt notwendigerweise die Freiheit des anderen ein. Er wählt beispielsweise als Kommunikationsmedium das Morse-Alphabet, das trotz seiner scheinbar präzisen digitalen Anmutung Spielräume der Interpretation zulässt, in denen neue Perspektiven entstehen können. Für Paul Hirsch ist es wichtig, konzeptionelle Ansätze und ästhetische Herangehensweisen einander auf Augenhöhe begegnen zu lassen. Dies manifestiert sich einerseits in seiner bevorzugten Verwendung von archaischen Materialien, kontrastiert andererseits mit seiner philosophischen Herangehensweise.

Für ihr „Streichhölzerzählwerk“ visualisiert Christiane Rath seit 2016 jährlich die Zahl der im Vorjahr im Mittelmeer Ertrunkenen. Die Installation materialisiert die tatsächliche Menge und konfrontiert das Auge gleichzeitigmit der Singularisierung – die Assoziation zu individuellen Schicksalen bleibt unausweichlich, aber die Streichhölzer sind ein Zählwerk und keine Verkörperung von Menschen. Ihr Zusammenhang mit Grenzen ist evident: Neue Grenzen um Europa. Grenzenloses Wegsehen. Ausgrenzung von Realität. Grenzen der Menschlichkeit. In einer weiteren Arbeit setzt sich Rath mit dem in Vergessenheit geratenen Telegraphenalphabet auseinander. Kommunikation hilft, Grenzen zu überwinden.

In diesem Projekt zeigt Thomas Schneider Arbeiten mit ähnlichem Prinzip: aus dem ursprünglichen Kontext herausgenommene „alltägliche Dinge“ bekommen durch eine Veränderung eine neue Bedeutung und setzen sich mit der ursprünglichen Funktion auseinander. Ein Jägerzaun als kleinste Abgrenzung des privaten Außenraums schafft Distanz zu anderem Besitz und zum öffentlichen Raum. Durch eine Perspektivverschiebung wird der ausschließende Charakter des Zauns im metaphorischen Sinn zur Leiter der Überwindung einer Distanz. In analoger Weise mobilisiert Thomas Schneider einen Grenzstein.